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BLICK IN DIE ZUKUNFT

Zukunftsperspektiven in der Forensischen Psychiatrie

Gesellschaftliche Veränderungen und Entwicklungen in der Therapie

Wie sieht die Zukunft der Forensischen Psychiatrie aus?

Dr. med. Martina Weig, Chefärztin und Maßregelvollzugsleitung der Klinik für Forensische Psychiatrie in Ansbach, und Dr. David Janele MBA, Chefarzt der Klinik für Forensische Psychiatrie in Erlangen, sprechen im Interview über Trends und notwendige Modernisierungen.

 

Warum ist die Zahl der Patienten im bayerischen Maßregelvollzug in den letzten zehn Jahren gestiegen und wie reagieren die Bezirkskliniken Mittelfranken darauf?

Dr. Janele: Die Zahl der Patienten hat tatsächlich stark zugenommen, zumindest bis zum Jahr 2024. Diese Zunahme hat vielfältige Gründe, beispielsweise eine verstärkte Wahrnehmung und die Erkennung psychischer Krankheiten und Suchtkrankheiten bei entsprechenden Straftaten, leider auch in Korrelation zu einer deutlichen Zunahme psychiatrischer Diagnosen in der Gesamtheit. Seit einer Reform des § 64 StGB (die Unterbringung suchtkranker Straftäter regelnd) ist jedoch zumindest in diesem Bereich ein deutlicher Rückgang zu bemerken.

Dr. Weig: Ja richtig, die Reform hatte einen deutlichen Einfluss auf die Entwicklung der Patientenzahlen. Das macht sich zeitlich verzögert auch in der Forensik Ansbach bemerkbar. Im Bereich der psychiatrischen Unterbringung steigen die Zahlen seit mehreren Jahren dagegen an. Deutschlandweit werden deshalb § 64 StGB-Stationen in § 63 StGB-Stationen umgewandelt. Auch in der Forensik Ansbach wird eine Station sukzessive umgewandelt.

Wie passen Sie den Maßregelvollzug auf die Bedürfnisse von älteren Patienten an?

Dr. Janele: Die Unterbringungsdauer insbesondere für Patienten, die gemäß § 63 StGB untergebracht sind, ist vergleichsweise lang, und liegt im bayerischen Durchschnitt etwa bei sechs bis sieben Jahren. Für den Umgang mit zunehmend älter werdenden Patienten ist eine Anpassung der therapeutischen Angebote und der medizinischen Versorgung nötig, aber auch der Gegebenheiten auf Station notwendig.

Dr. Weig: Auf diese Veränderungen reagieren wir in der Forensik Ansbach auch. Wir haben in den vergangenen Jahren Zimmer behindertengerecht umgerüstet und Möglichkeiten zur körperlichen Pflege geschaffen. Es zeichnete sich aber ab, dass für körperlich gebrechliche Patienten auch nach einer längeren Unterbringungsdauer häufig Plätze in Altenpflegeeinrichtungen gefunden werden können.

Nach dem Vorbild in Ansbach gibt es heute in allen bayerischen Bezirken Präventionsstellen. In welche Richtung sollte sich die Präventionsarbeit in Zukunft weiterentwickeln?

Dr. Weig: Für bestimmte Personengruppen wäre die Anwendung forensisch-psychiatrischer Konzepte nicht nur ambulant, sondern in einem stationären Setting wünschenswert. Ein erhebliches Problem stellen Patienten mit Gewaltpotential dar, die noch keine Straftat begangen haben, jedoch ein hohes Risiko aufweisen, künftig Straftaten zu begehen, und die mit den Konzepten der allgemeinpsychiatrischen Behandlung zunehmend schwerer zu versorgen sind. Diese Patienten zeigen häufig keine anhaltende Compliance bzgl. kontinuierlicher Behandlungsmaßnahmen. Sie können aktuell nur nach PSYchKHG öffentlich-rechtlich (oder sollte auch Selbstgefährdung vorliegen betreuungsrechtlich) in der Allgemeinpsychiatrie untergebracht werden. Erwähnt werden muss an dieser Stelle auch, dass es für geduldete Migranten mit Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis keine Möglichkeit gibt, einen Kostenträger für eine soziotherapeutische Einrichtung zu finden. Sie können aktuell aus der Allgemeinpsychiatrie nur in eine Asylbewerberunterkunft entlassen werden. Hier ist zumeist kein geeignetes Risikomanagement möglich.

Dr. Janele: Ich würde ebenfalls sagen, dass noch weitere Schritte notwendig sind. Die rechtlichen Rahmenbedingungen müssen – in einem verhältnismäßigen Rahmen – besser genutzt und ausgebaut werden, um behandlungsunwillige psychisch Kranke behandeln zu können, wenn ein Gefährdungspotenzial für die Gesellschaft besteht.

Wie wichtig ist die forensisch-psychiatrische Nachsorge heute und künftig?

Dr. Weig: Mehrere wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass die forensisch-psychiatrische Nachsorge die Rückfallquote nach Entlassung aus dem Maßregelvollzug signifikant senkt. Besonders Gewalt bzw. Sexualstraftaten können durch die Risikomanagement-Strategien der Nachsorgeambulanzen bereits jetzt effektiv verhindert werden. Auch durch die Möglichkeit, bei der Gefahr schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten die Führungsaufsicht zu entfristen (lebenslange FA), werden die Risiken für schwere Rückfälle deutlich gemindert.

Dr. Janele: Ergänzend dazu sollte künftig die Ambulantisierung im forensischen Bereich sofern deliktisch und legalprognostisch vertretbar, weiter ausgebaut werden.

Sehen Sie in der Forensischen Psychiatrie Einsatzmöglichkeiten für Künstliche Intelligenz?

Dr. Janele: Wir können uns durchaus vorstellen, dass der Einsatz von KI adjuvant bei den Therapien insofern helfen könnte, dass beispielsweise der immer größer werdende Dokumentationsaufwand besser bewältigt werden kann, andererseits beispielsweise im Bereich von bestimmten Prognoseinstrumenten Einsatz finden kann. Hierbei darf allerdings nicht außer Acht gelassen werden, dass die Beurteilung der Prognose durch eine künstliche Intelligenz niemals den Sachverstand von erfahrenen forensisch-psychiatrischen Fachkräften ersetzen kann, gerade auch in Anbetracht der damit verbundenen Auswirkungen.

Dr. Weig: Das sehe ich auch so. Hierzu ist noch weitere Forschung und Entwicklung möglich und nötig. Auch die Gestaltung virtueller Räume, um ohne Gefahr für Dritte neue Lernerfahrungen zu machen, wäre möglich.

Wie begegnen Sie dem Fachkräftemangel?

Dr. Janele: Dem Fachkräftemangel begegnen wir auf vielfältige Art und Weise, beispielsweise indem wir die Arbeit in den Forensischen Psychiatrien intensiv bewerben. Wir versuchen auch, Kooperationen mit Ausbildungsinstituten, Pflegeschulen und Universitäten einzugehen. Trotz der Herausforderungen wird die Arbeit von den allermeisten Mitarbeitenden sehr geschätzt und auch die Fluktuationsrate der Mitarbeitenden in den Forensischen Psychiatrien ist vergleichsweise gering. Gegenwärtig können wir keinen Fachkräftemangel beklagen. Dennoch gilt es für die Zukunft vorzubauen und insbesondere angesichts des demokratischen Wandels uns gerade für die nächsten zehn bis 15 Jahre vorzubereiten.

Was können Forensische Psychiatrien leisten, um Diskriminierung entgegenzuwirken?

Dr. Weig: Forensik-Patienten werden sowohl als psychisch krank als auch als kriminell wahrgenommen. Störungen wie Burn-out, Angststörungen und Depressionen sind heute zwar leichter kommunizierbar als noch vor 20 oder 30 Jahren. Auf der anderen Seite haben sich die Einstellungen gegenüber Menschen mit Suchtkrankheiten und Menschen mit Schizophrenie aktuellen Studien zufolge sogar verschlechtert. Um den Umgang mit diesen Krankheitsbildern im Sinne einer niederschwelligeren Inanspruchnahme von Hilfen, früherer Interventionen und mehr Teilhabe zu verwirklichen, müssten sich Entstigmatisierungsbemühungen auf diese Krankheiten fokussieren. Eine solche Entwicklung zeichnet sich derzeit allerdings gesamtgesellschaftlich nicht ab. Die Sozialpsychiatrie fordert sogar die Abschaffung jeglichen Zwangs, um die Psychiatrie zu entstigmatisieren. Sie fordert auch die Abschaffung des Maßregelvollzugs und des Schuldstrafrechts. Der Maßregelvollzug in der jetzigen Form ist aufgrund gesellschaftlicher Tendenzen zunehmend umstritten. Andererseits füllen einzelne schwere Delikte psychisch Kranker die Medien. Infolge der medialen Darstellung spektakulärer Gewalttaten nimmt der Wunsch, die Täter langfristig „wegzusperren“, zu.

Dr. Janele: Dem stimme ich zu. Gerade durch die mediale Berichterstattung und die Vorkommnisse der letzten Monate und Jahre kann man den Eindruck gewinnen, dass die Stigmatisierung von Menschen mit psychischen Erkrankungen aktuell eher wieder zunimmt, insbesondere im Kontext von teilweise hoch medienwirksamen Straftaten, die durch psychisch kranke Straftäter und Straftäterinnen begangen wurden. Forensische Psychiatrien können tatsächlich viel dazu beitragen, an dieser Stelle für mehr Verständnis zu sorgen. Hier steht die Öffentlichkeitsarbeit im Fokus. Die Forensischen Psychiatrien dürfen keine „Black Boxes“ sein, denn Unkenntnis schafft Ängste. In Zukunft bräuchte es einen deutlich weniger polemischen, sondern kritischen, selbstbewussten und nicht anklagenden Umgang, sowohl mit psychischen Erkrankungen im Allgemeinen, in diesem Kontext geschehenen Straftaten und den vielfältigen Institutionen und deren Mitarbeitenden, die jeden Tag aufs Neue mit viel Engagement, Kraft und Zuversicht ihr Bestes tun, um psychisch kranken Menschen zu helfen.