Dr. Karlheinz Endres, Chefarzt Klinik für Geriatrische Rehabilitation, Bezirksklinikum Ansbach
BLICK IN DIE ZUKUNFT
Geriatrie neu denken: vernetzt, digital, menschlich
Dr. Karlheinz Endres, Chefarzt der Klinik für Geriatrische Rehabilitation, über die Rolle der Geriatrie in einer älter werdenden Gesellschaft
Die Gesellschaft in Deutschland wird älter. Das ist eine gute Nachricht – vorausgesetzt, die gewonnenen Jahre sind auch lebenswert. Doch das gelingt nicht von selbst. Mit der höheren Lebenserwartung nehmen Multimorbidität, Gebrechlichkeit und der Bedarf an Unterstützung zu. Gleichzeitig verändern sich Familienstrukturen: Kinder und Angehörige wohnen oft weit entfernt oder sind beruflich eingespannt. Häusliche Pflege wird seltener.
Hier setzt die geriatrische Reha an. Sie verbindet Akutmedizin, Rehabilitation, Pflege, Therapie und soziale Hilfen mit einem Ziel: Selbstständigkeit erhalten und Pflegebedürftigkeit möglichst vermeiden.
Das Konzept der Klinik für Geriatrische Rehabilitation
1997 gründeten wir die Klinik für geriatrische Rehabilitation mit dem Auftrag, älteren Menschen nach Krankheit oder Unfall den Weg zurück nach Hause zu ebnen. Das Ziel: mit guter Qualität, selbstbestimmt zuhause leben! Seitdem haben wir das Konzept stetig weiterentwickelt und in der Region verankert.
Im Zentrum steht ein Ansatz, der Stärken fördert und Defizite bewältigen hilft, statt sie zu betonen. Nach einer Erkrankung oder einem Unfall erleben viele ältere Menschen, dass sie manches nicht mehr können. Das verunsichert und lähmt. „Work arounds“ wie in jungen Jahren findet der Körper selbst häufig nicht so leicht. Wir richten den Blick bewusst auf das, was möglich ist: körperliche Fähigkeiten wie Beweglichkeit und Kraft, geistige Ressourcen wie Aufmerksamkeit und Gedächtnis, aber auch soziale Stärken wie Kontakte und familiäre Bindungen.
An diesen Ressourcen setzen wir an. Jede Fähigkeit, die erhalten oder zurückgewonnen wird, macht im Alltag einen Unterschied – sei es selbstständig aufzustehen, zu essen, sich zu waschen oder ein Gespräch zu führen. So entsteht ein Gefühl von Selbstwirksamkeit, das Mut macht und Fortschritte fördert. Patientinnen und Patienten gewinnen nicht nur Selbstständigkeit zurück, sondern auch Zuversicht und Lebensqualität. Mut – der sonst allzu schnell verloren geht und Selbstvertrauen sind das, was wir vermitteln. Neben den tatsächlichen Fähigkeiten. Gleichzeitig verzögern oder verhindern wir Pflegebedürftigkeit – ein Gewinn für Betroffene und Angehörige.
Multiprofessionelle Zusammenarbeit
Viele ältere Menschen leiden nicht an einer, sondern an mehreren Erkrankungen. Diese Multimorbidität erschwert Diagnose, Behandlung und Alltagsbewältigung. Herzschwäche, Diabetes, Arthrose oder Demenz treten oft gemeinsam auf und beeinflussen sich gegenseitig. Kein Fachgebiet kann das allein bewältigen – gefragt ist Teamarbeit.
In der geriatrischen Rehabilitation arbeiten Ärztinnen und Ärzte, Pflegekräfte, Therapeutinnen und Therapeuten sowie der Sozialdienst Hand in Hand. Die Medizin stellt Diagnosen, legt Behandlungsziele fest und steuert die Therapie. Die Pflege trainiert Alltagskompetenzen und gibt dem Tag Struktur. Therapien wie Physio-, Ergo- und Logopädie bauen Fähigkeiten gezielt auf. Der Sozialdienst organisiert die Versorgung im Anschluss und berät Angehörige. So entsteht ein durchgängiger Behandlungsplan – von der Aufnahme bis zur Entlassung. Patientinnen und Patienten erleben keine isolierten Maßnahmen, sondern einen zusammenhängenden Weg, der, falls möglich, zurück in den Alltag führt.
In unserer täglichen Arbeit konzentrieren wir uns auf Lösungen, die ein Leben zu Hause sichern. Durch Rehabilitation stärken wir körperliche, geistige und seelische Kräfte, um später eine teilstationäre oder häusliche Betreuung zu ermöglichen. Immer wichtiger wird auch die Prävention, die Risiken früh erkennt und abmildert. Bewegung, ausgewogene Ernährung und soziale Kontakte spielen dabei eine Schlüsselrolle – sie bewahren die Mobilität, steigern die Lebensfreude und können Pflegebedürftigkeit deutlich verzögern oder sogar vermeiden. Einsamkeit durch bestehende und neue soziale Kontakte zu verhindern, das ist über die Medizin hinaus eine soziale Aufgabe unserer Rehabilitation.
Vernetzt versorgen, selbstbestimmt älter werden
Der demografische Wandel erhöht den Bedarf an geriatrischer Versorgung. Gefragt sind mehr Fachkräfte, verlässliche Finanzierung und Innovation: Telemedizin, digitale Gesundheitsüberwachung und, wo sinnvoll, KI-gestützte Diagnostik und Assistenzsysteme. Therapien müssen altersgerecht und individuell werden, als personalisierte Medizin.
Neue Versorgungsmodelle mit teilstationären Konzepten, mobilen Teams und geriatrischen Zentren sichern und verbessern die Versorgung. Teilstationäre Angebote wie Tageskliniken, Kurzzeit- und Intervallbehandlungen schließen die Lücke zwischen ambulanter Betreuung und Klinik. Sie erhalten Mobilität und Alltagskompetenzen und entlasten Angehörige. Mobile Teams arbeiten aufsuchend: Sie stabilisieren zu Hause, begleiten Übergänge nach Klinikaufenthalten und verhindern vermeidbare Einweisungen – in enger Abstimmung mit Hausärztinnen und Hausärzten, Pflegediensten und Sozialberatung. Geriatrische Kliniken wie in Ansbach bündeln interdisziplinäre Expertise – Medizin, Pflege, Therapien, Neuropsychologie und Sozialdienst – und setzen auf strukturierte Assessments, klare Behandlungsziele und ein verlässliches Entlassmanagement.
Unsere Zukunft liegt in der Vernetzung aller Bereiche – mit festen Kooperationen, digitaler Infrastruktur und einer gestärkten Geriatrie. So entsteht eine Versorgung, die älteren Menschen Selbstständigkeit, Teilhabe und Sicherheit bietet.
Doch es braucht auch ein neues Altersbild. Geriatrie ist mehr als Medizin – sie spiegelt, wie eine Gesellschaft Alter versteht. Statt Defizite zu betonen, sollten wir die Möglichkeiten und Ressourcen älterer Menschen in den Mittelpunkt rücken. Teilhabe, Selbstbestimmung und Mitsprache sind ebenso wichtig wie medizinische und pflegerische Unterstützung. Eine soziale Gesellschaft erkennt an, dass ältere Menschen ihr Leben aktiv gestalten wollen – und schafft die Voraussetzungen dafür. Alt werden wir alle von selbst – gestalten wir also gemeinsam wie wir dann leben.